Der Passauer Hof- und Domkapellmeister Benedikt Anton Aufschnaiter, seine Beziehungen zur Orgelbauerdynastie Egedacher und sein kirchenmusikalisches Schaffen
Autor: Franz Gratl
Die Blütezeit der österreichischen Barockmusik wird primär mit einigen wenigen Komponistennamen verbunden, allen voran Heinrich Ignaz Franz Biber, Johann Heinrich Schmelzer und Georg Muffat. Die Musikerpersönlichkeiten, die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Tradition dieser Komponisten auf ihre sehr eigenständige Art und Weise fortsetzten, sind – mit Ausnahme des kaiserlichen Kapellmeisters und überaus einflussreichen Musiktheoretikers Johann Joseph Fux – im aktuellen Musikleben weit weniger präsent und stehen auch weniger im Fokus der musikwissenschaftlichen Forschung. Dies gilt beispielsweise für die Salzburger Hofkapellmeister Carl Heinrich Biber und Matthias Sigismund Biechteler, den dortigen Hoforganisten Johann Ernst Eberlin und den Sohn Georg Muffats, Gottlieb, der am Wiener Kaiserhof wirkte. Nicht zuletzt gilt dies auch für Benedikt Anton Aufschnaiter, Georg Muffats unmittelbaren Nachfolger als fürstbischöflicher Hofkapellmeister in Passau. Er galt zu Lebzeiten als einer der bedeutendsten Komponisten des süddeutsch-österreichischen Raumes und hervorragender Musikpädagoge, geriet aber später weitgehend in Vergessenheit. Dieser Umstand lässt sich damit erklären, dass sich der Zeitgeschmack veränderte und dass das Bedürfnis nach „neuer Musik“ damals viel größer war, als dies heute der Fall ist. Zur Wiederentdeckung des Oeuvres von Benedikt Anton Aufschnaiter hat der Passauer Peter Lechl mit seinen Werkausgaben wesentlich beigetragen, in weiterer Folge der oberösterreichische Barockgeiger Gunar Letzbor mit seinem Ensemble „Ars Antiqua Austria“[1], nicht zuletzt aber das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum und das Institut für Tiroler Musikforschung durch Konzerte, CD-Produktionen und Notenausgaben[2] seit den 1990er Jahren. Im Booklettext zur Einspielung der Kirchensonaten op. 4 durch die Ars Antiqua Austria nennt Ensembleleiter Gunar Letzbor Benedikt Anton Aufschnaiter gar einen „katholischen Bach“. Was den Thomaskantor und den Passauer Hofkapellmeister verbindet, ist die Fähigkeit zur stilistischen Synthese retrospektiver und aktueller musikalischer Strömungen; was Aufschnaiter freilich fehlt, ist Bachs kompositorische Universalität, die bis auf die Oper alle bedeutenden musikalischen Gattungen des Hochbarock einschloss.
Zur Biographie Benedikt Anton Aufschnaiters
Aufschnaiter wurde 1665 in Kitzbühel geboren[3]. Sein Vater Andreas entstammte ebenso wie seine Mutter Salome geb. Mözger einer Kitzbühler Bürgersfamilie. Seit Kaiser Maximilian die Bergbaustadt verpfändet hatte, stand Kitzbühel unter der Herrschaft der Grafen Lamberg. Dieses weit verzweigte Adelsgeschlecht stammte ursprünglich aus der Krain und erwarb sich in Diensten der Habsburger großes Ansehen, das schließlich zur Erhebung in den Reichsgrafen- und zu Aufschnaiters Zeit in den Reichsfürstenstand führte. Über Kindheit und Jugend Benedict Anton Aufschnaiters ist bislang nichts bekannt, doch scheint es wahrscheinlich, dass sich die Grafen Lamberg um die Ausbildung des musikalisch begabten Knaben bemühten. Schon in jungen Jahren kam er nach Wien, wo er in einer Adelskapelle tätig war, die bislang noch nicht identifiziert werden konnte. Vielleicht stand Aufschnaiter in Diensten der Familie Trauttmannsdorff, denn sein verschollenes Opus 1 ist einem Angehörigen dieses bedeutenden österreichischen Geschlechtes gewidmet, wie der Komponist selber angibt[4]. In einem Schreiben aus seiner Passauer Zeit rühmte sich Benedikt Anton Aufschnaiter, er habe in Wien ein Elite-Ensemble zur Verfügung gehabt: „Ich habe in Wienn, allwo ich mich viell Jahr befunten, die meisten Musiquen nur mit 16, oder 18 aber sambentlich perfectis Musicis produzierth [aufgeführt], welche denen auditoribus praesertim artem Musicam callentibus zu größerem Wohlgefallen und Vergnügen gewesen, als die große Musique mit 60 und noch mehr Musicanten, welche aber zur pomposen Celebrirung derer Festiven verlangt und gebraucht worden, so noch bis dato bey großen Festinen geschehet […]“[5]. Es bleibt zu hoffen, dass zu den Wiener Adelskapellen weiteres dokumentarisches Material auftaucht, dem Angaben zu Aufschnaiters Wirken vor seinem 40. Lebensjahr zu entnehmen sind. Die kaiserliche Residenzstadt Wien war unter dem musikfanatischen, selbst komponierenden Kaiser Leopold I., der fast ein halbes Jahrhundert lang regierte, eine Metropole mit einem reichen, vielfältigen Musikleben; die vielen Adelskapellen eiferten der tonangebenden kaiserlichen Hofmusik nach. Aufschnaiter widmete sein Opus 2 dem Kronprinzen, römischen König und späteren Kaiser Joseph (I.), das verschollene Opus 3 Kaiser Leopold selbst, was auf eine gewisse Nähe zum Kaiserhof hinweist.
Abbildung 1: Benedikt Anton Aufschnaiter,
Concors discordia [Orchestersuiten], op. 2, Druckausgabe Nürnberg 1695, Exemplar im Archiv der Zentralbibliothek Zürich (Bestand Allgemeine Musikgesellschaft), Titelblatt (Foto: © Zentralbibliothek Zürich)
Ein rares Dokument bezeugt Aufschnaiters Wiener Aufenthalt direkt: Der Eintrag zum Tod seiner ersten Frau Maria im Sterbebuch der Dompfarre St. Stephan 1695; leider wird „Benedict Anton Aufschneider“ dort nur lapidar als „Musicus“ bezeichnet. In das Jahr 1695 fällt auch die Publikation der Sammlung Concors discordia op. 2 mit Orchestersuiten bei Christian Siegmund Froberger in Nürnberg. 1698 heiratete Aufschnaiter Maria Barbara von Salla, die aus seiner Tiroler Heimat, aus Innsbruck, stammte[6]. Der Kitzbühler blieb bis 1705 in Wien; am 16. Jänner dieses Jahres erfolgte seine Ernennung zum Kapellmeister des Fürstbischofs von Passau Johann Philipp Graf von Lamberg. Es darf angenommen werden, dass alte Verbindungen Aufschnaiters mit den Lambergs bei dieser ehrenvollen Berufung eine Rolle spielten. Zudem hatte sich der Tiroler bereits mit seinen Kompositionen, besonders mit seinen bis dahin erschienenen vier gedruckten Opera mit Instrumentalmusik, einen sehr guten Ruf erworben und wurde daher für würdig befunden, in Passau die Nachfolge des berühmten Georg Muffat anzutreten. Mit einer leistungsfähigen Kapelle und einem international renommierten Hofkapellmeister konnte der Fürstbischof sein Prestige steigern – das war umso wichtiger, als sich der Exemptionsstreit mit dem Erzbistum Salzburg auf dem Höhepunkt befand (Passau strebte die rechtliche Unabhängigkeit von Salzburg an); somit war es Johann Philipp Graf Lamberg gewiss ein Anliegen, auf musikalischem Sektor mit dem Metropolitansitz auch auf musikalischem Gebiet konkurrieren zu können. 1722 erreichte Passau schließlich die Exemption. Aufschnaiter widmete sich in seiner Passauer Zeit in erster Linie der Komposition von Kirchenmusik für den Gebrauch im Dom und für die bedeutende geistliche Bruderschaft Mariä Himmelfahrt. Auch die Drucke seiner Werke spiegeln diese Verlagerung des Schwerpunktes wider: Vor 1705 erschienen ausschließlich Sammlungen mit Instrumentalmusik, danach zwei Opera mit Vespern und je eine mit Messen und Offertorien. Von seinem Dienstherrn wurde Aufschnaiter sogar gerügt, weil er zu wenig weltliche Musik komponierte; der Komponist rechtfertigte sich mit der mangelnden Leistungsfähigkeit der Passauer Kapelle[7].
Im Archiv des Passauer Doms St. Stephan sind zahlreiche Kirchenkompositionen Aufschnaiters handschriftlich überliefert, weiters der theoretische Traktat „Regulae compositionis fundamentales musurgiae“, in dem der Passauer Kapellmeister seine Kompositionslehre zusammenfasst, die auf einer gründlichen Beherrschung der kontrapunktischen Techniken und des „strengen Kirchenstils“ basiert[8]. Die Akzeptanz des modernen Dur-Moll-Systems („Tonis modernis figuralibus“[9]) in Ergänzung zu den überlieferten Kirchentonarten ist aber ein progressiver Zug dieses Traktats, der im süddeutsch-österreichischen Raum durchaus Resonanz fand. Als seine Lehrer nennt Aufschnaiter in dieser Schrift Orlando di Lasso, Adam Gumpelzhaimer, Giacomo Carissimi und Johann Kaspar Kerll – im Sinne einer Berufung auf diese musikalischen Autoritäten, wobei Kerll als einziger für eine reale Lehrer-Schüler-Beziehung in Frage kommt. Benedict Anton Aufschnaiter starb 1742 in Passau.
Benedikt Anton Aufschnaiter und die Orgelbauerdynastie Egedacher
Als Benedikt Anton Aufschnaiter 1705 zum Hof- und Domkapellmeister in Passau berufen wurde, war die große Orgel in der Domkirche St. Stephan noch keine 20 Jahre alt. Der Passauer Orgelbauer Leopold Freundt hatte von 1684 bis 1691 ein zweimanualiges Werk mit insgesamt (laut Kontrakt von 1685) 23 Registern errichtet. Die ersten Pläne für diesen Neubau der Domorgel nach dem verheerenden Stadtbrand von 1662 hatten nach dem in Passau fast unvermeidlichen Vorbild Salzburgs weitere, kleinere Orgelwerke auf den Pfeilern im Chor vorgesehen, aber zu deren Errichtung war es zunächst nicht gekommen. Als Georg Muffat 1690 seinen Dienst als Hoforganist des Salzburger Fürsterzbischofs quittierte und sein Amt als Hofkapellmeister in Passau antrat, was nach damaligem Verständnis einem Aufstieg auf der Karriereleiter gleichkam, fand er die Freundt-Orgel vor. Muffat, der seine Salzburger Dienstzeit mit der Drucklegung des „Apparatus musico-organisticus“ krönte und damit ein wesentliches Kompendium der süddeutsch-österreichischen Orgelmusik seiner Zeit vorlegte, war in Passau nicht als Organist angestellt und war daher auch nicht primär mit der Komposition von Orgelmusik beschäftigt, sondern ließ in der Folge von 1690 bis zu seinem Tod 1704 ausschließlich instrumentale Kammermusik in Druck erscheinen, nämlich so gewichtige Sammlungen wie die beiden „Florilegien“ (1695 und 1698) und die „Auserlesene mit Ernst und Lust gemengte Instrumental-Music“ (1701) mit ihren für die Aufführungspraxis der Zeit so unschätzbar aussagekräftigen Vorworten, die mit Sicherheit auch über noch zu Aufschnaiters Zeiten relevante Passauer Gepflogenheiten Auskunft geben. Solche barocke „Orchesterwerke“ wurden zum Beispiel für den Tafeldienst benötigt und als reale Tanzmusik verwendet[10], konnten aber auch in der Kirche musiziert werden (Biber brachte es auf den Punkt, als er einer seiner Werksammlungen den Titel „Sonatae tam aris quam aulis servientes“ gab).
Schließlich gehörte die Musica sacra im engeren Sinne durchaus zum Aufgabenbereich eines fürstbischöflichen Hofkapellmeisters und Muffat kam dieser Verpflichtung nach, wenn auch nur in beschränktem Ausmaß[11]. Die Orgel im Dom lag ihm am Herzen, denn er veranlasste schon 7 Jahre nach ihrer Fertigstellung eine Erweiterung, „mitls deren verschiedene schöne Musicalia exhibiert werden khü[n]ten“[12]. Welche Umbauarbeiten im Detail durchgeführt wurden, ist nicht bekannt, wahrscheinlich wurden einige Register hinzugefügt. Benedikt Anton Aufschnaiter, Muffats Nachfolger als Hofkapellmeister, hatte in seiner Kapelle stets einen eigenen Organisten und komponierte daher vermutlich auch keine reine Orgelmusik – jedenfalls ist solche aus seiner Feder nicht überliefert. Dass Fertigkeit im Orgelspiel dennoch zu den Grunderfordernissen eines fürstbischöflichen Kapellmeisters gehörte, steht außer Frage. Im Gegensatz zu Muffat, der in Passau nur das Hofkapellmeisteramt versah, war Aufschnaiter zugleich Domkapellmeister und somit noch intensiver, ja vorrangig mit kirchenmusikalischen Agenden betraut. In Aufschnaiters Passauer Zeit fallen zwei große Orgelprojekte im Dom, die jeweils mit der Familie Egedacher verbunden sind: Die Errichtung der beiden Pfeilerorgeln nach Salzburger Vorbild (1715–1718) und der Neubau der großen Domorgel (1731-1733). Diese Orgelbauten wurden von Johann Ignaz Egedacher (1675–1744) realisiert. Dieser hatte mit der Heirat von Leopold Freundts Tochter dessen Passauer Werkstatt übernommen und somit gewissermaßen das legitime Erbe der bedeutenden lokalen Orgelbauerfamilien Butz und Freundt angetreten. Die 1718 fertiggestellten Orgelwerke an den Pfeilern der Vierung im Bereich der (heute nicht mehr vorhandenen) Musikemporen auf der Epistel- und Evangelienseite hatten, wenn sie nach dem Erstentwurf von 1715 ausgeführt wurden, jeweils 10 Register (6 im Manual und 4 im Pedal) und wurden bei Gottesdiensten auch zusammen gespielt. Benedikt Anton Aufschnaiter war als Mitglied einer Kommission aktiv in die Konzeption der Instrumente eingebunden, ebenso wie selbstverständlich der Domorganist Johann Amand Hirschberger (1678–1728, im Amt seit 1710). Als dessen Nachfolger Franz Anton Hugl (1706–1745, Domorganist seit 1728) 1729 den fürstbischöflichen Hofrat auf Mängel der beiden Instrumente aufmerksam machte, wurden Aufschnaiter und der Hofmusiker Gabriel Anton Fries (1676–1746) beauftragt, eine gründliche „Orgelprobe“ vorzunehmen. Diese Prüfung fiel nicht eben positiv aus, Aufschnaiter stellte eklatante Mängel bis hin zu einem völlig unbrauchbaren Register fest[13].
Man darf annehmen, dass die nötigen Reparaturarbeiten vorgenommen vom Erbauer vorgenommen wurden, zumal Johann Ignaz Egedacher ab 1731 mit dem Neugestaltung der großen Freundt-Orgel beschäftigt war. Diese Arbeiten gingen über das Ausmaß einer bloßen Erweiterung weit hinaus: Er fügte nicht nur ein drittes Manual mit einem Echo-Werk hinzu und verfertigte 10 oder 11 Register ganz neu, sondern ersetzte auch zahlreiche Pfeifen der Freundt-Orgel, erweiterte den Pedalumfang und machte unter anderem den Orgelkasten und die Windladen neu. Das fertige Instrument hatte rund 40 Register, verteilt auf 3 Manuale und Pedal. Die große Domorgel von Egedacher ist eine Station auf dem Weg zur heute weltberühmten „größten Domorgel der Welt“ in Passau-St. Stephan.
Benedikt Anton Aufschnaiters kirchenmusikalische Werke
Aufschnaiters über 200 Kirchenwerke[14] zeichnen sich durch ein Festhalten am hochbarocken konzertierenden Stil aus. Lechl charakterisiert diesen Stil als „römisch“[15] doch scheint die unmittelbare Anregung eher vom klangprächtigen „Imperialstil“, wie er von den im Umkreis des Wiener Kaiserhofes Leopolds I. wirkenden Komponisten wie Schmelzer, Bertali, Sances und Draghi vertreten wurde, ausgegangen zu sein. Dieser „Imperialstil“, „Reichsstil“ oder „Kaiserstil“[16] wirkte vorbildhaft für das gesamte katholische Reichsgebiet. Typisch für diesen Stil sind die Weiterentwicklung des mehrchörig konzertierenden Prinzips, klangliche Prachtentfaltung und engräumige Kontrastbildung. Aufschnaiter vertritt diesen Stil als einer der letzten konsequent; zu seiner Zeit setzte sich bereits eine neuartige Kirchenmusik durch, die sich in der Messkomposition durch die Ausbildung des Typs der „neapolitanischen Kantatenmesse“ oder besser „Nummernmesse“ mit ihrer nummernmäßigen Abfolge von opernhaften Arien, konzertanten Chören, motettischen und fugierten Abschnitten in einem kontrastreichen Nebeneinander unterschiedlichster Stilebenen auszeichnet. Solchen Innovationen schloss sich Aufschnaiter nicht an, im Gegenteil: Diesen namentlich in den Soloabschnitten opernhaft virtuosen und konzertanten Kirchenstil lehnte er als zu theatralisch und profan für die Musica sacra ab, wie seinem Kompositionstraktat zu entnehmen ist[17]. Er unterscheidet den stylus ecclesiasticus streng vom stylus theatralis und dem stylus madrigalescus. Weiters differenziert er im Kirchenstil zwischen zwei Untergattungen, dem stylus choralis und dem stylus moteticus; ersterer beruht auf der Verarbeitung von Choralthemen in gleichen und langen Notenwerten (im Sinne des cantus planus), zweiterer auf der Verarbeitung von Themen, die der Komponist selber nach strengen Regeln erfindet und entweder nach den Grundsätzen des contrapunctus simplex oder des contrapunctus figuratus durchführt. Aufschnaiter hält sich in seiner Konzeption von stylus ecclesiasticus an seine Vorbilder von Lasso bis Kerll und vertritt diese konservative Grundhaltung mit Überzeugung. In den Titeln seiner gedruckten Opera mit Sakralmusik und auch auf den Titelblättern von handschriftlichen Quellen finden sich auffällig häufig Angaben wie die folgenden: „Stylo Ecclesiastico, & singulari Musurgiae arte ad regulas fundamentales concinnè elaborata“ (aus dem Titel der Offertoriensammlung Aquila clangens); „Singulari Studio, & arte elaboratae“ (aus dem Titel der Vespersammlung Memnon Sacer); „Stylo Ecclesiastico, et Methodo brevi, hac aetate frequentiori, et Acceptiori Elaborata“ (aus dem Titel zu Gloria und Credo, Handschrift im Musikarchiv des Benediktinerstiftes Kremsmünster).
Abbildung 2: Benedikt Anton Aufschnaiter, Memnon sacer [Vespern], op. 5, Druckausgabe Passau 1709, Titelblatt der Canto concerto-Stimme; Foto nach einer Reproduktion in der Musiksammlung des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum: Franz Gratl
Abbildung 3: Benedikt Anton Aufschnaiter, Miserere in f-Moll, Musikarchiv des Stiftes Kremsmünster (A-KR), Signatur F 24/33, Titelblatt; Foto nach einer Reproduktion in der Musiksammlung des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum: Franz Gratl
In Aufschnaiters Kirchenwerken gibt es stets nur kurze solistische Abschnitte konzertanten Charakters in kleinräumigem Kontrast zu Tutti-Akkordblöcken und polyphonen Abschnitten. Die Ordinariumsteile in den Messen sind wie auch die Psalmen und Cantica der Vespern durchkomponiert und nicht in Nummern untergliedert. Die ausgedehntesten Soloabschnitte in Aufschnaiters Oeuvre finden sich in den zwölf Offertorien der Sammlung Aquila clangens (Passau 1719), aber auch hier handelt es sich nicht um opernhafte Arien italienischer Prägung mit konzertanten Ritornellen, sondern um solistische Passagen von variabler Länge innerhalb einer noch ganz dem barocken Varietas-Prinzip verhafteten Gestaltung, die noch ganz im 17. Jahrhundert wurzelt. Typisch für Aufschnaiters konservative Grundhaltung in seinen Kirchenwerken ist schließlich das konsequente Festhalten am fünfstimmigen Orchestersatz nach französischem Vorbild, wie er im 17. Jahrhundert im süddeutsch-österreichischen Raum weit verbreitet war. Aber schon um die Jahrhundertmitte begann von Italien aus der Siegeszug des Triosonatensatzes mit zwei Violinen und Bass. Aufschnaiter verwendet den fünfstimmigen Satz mit 2 Violinen, 2 Violen und Violone, also die Besetzung, die schon Jean-Baptiste Lully als Norm für das französische Opernorchester etablierte, in all seinen Instrumental- und Kirchenwerken. Diese Normierung, die zum Beispiel in den 5 Messen aus dem Opus 6 (o. O., 1712) feststellbar ist – alle Werke aus dieser Sammlung haben die exakt gleiche, solenne Besetzung (Soli SATB, Chor SATB, vl 1, 2, vla 1, 2, vlne, org, clno 1, 2, timp, dazu trb 1, 2, 3 ad libitum) – unterscheidet Aufschnaiters Messen von den variabel besetzten Wiener Messkompositionen des späten 17. Jahrhunderts und auch von den stilistisch durchaus verwandten, aber noch immer besetzungsmäßig variablen solennen Messvertonungen des kaiserlichen Hofkapellmeisters Johann Joseph Fux. Die 2 bis 3 Posaunen, die colla parte mit den Singstimmen geführt und ad libitum besetzt sind, kommen in allen Kirchenwerken Aufschnaiters vor – die Passauer Gepflogenheiten orientierten sich hier wohl am Salzburger Vorbild, wo das colla parte-Spiel der Posaunen noch zur Mozart-Zeit im Dom allgemeiner Usus war. Dass Aufschnaiter bis zu seinem Lebensende an seinem konservativen Kirchenstil festhielt, zeigt exemplarisch das handschriftlich überlieferte Requiem in C-Dur, das er im Alter von 73 Jahren 1738 schrieb, vier Jahre vor seinem Tod. Die Grundzüge der Komposition und die Besetzung sind identisch mit den Messen aus dem Druck von 1712. Aufschnaiters Missa pro defunctis von 1738 erinnert daher nicht zufällig an die beiden Requiemkompositionen von Heinrich Ignaz Franz Biber, die gut ein halbes Jahrhundert früher entstanden sind[18]. Benedikt Anton Aufschnaiters Kirchenmusik fand im gesamten katholischen Reichsgebiet weite Verbreitung und wurde mancherorts, wie zum Beispiel im Stift Wilhering, noch im 19. Jahrhundert gepflegt[19]. Der gebürtige Kitzbühler gab der Passauer Dommusik am Ausklang des Barock imperialen Glanz und gilt daher nicht zu Unrecht als „Granseigneur der Passauer Musikgeschichte“[20].
Literatur
Faksimile-Ausgaben
Benedict Anton Aufschnaiter, Regulae Compositionis Fundamentalis Musurgiae (ca. 1730), Faksimile-Ausgabe mit Kommentar von Markus Eberhardt, Stuttgart 2011.
Sekundärliteratur
Eberhardt 2009
Markus Eberhardt, „Musarum es modulaminis aemulis arte. Leben und Werk des Passauer Hof- und Domkapellmeisters Benedikt Anton Aufschnaiter“, in: Musik unter Krummstäben, Zur Kirchenmusik des 18. Jahrhunderts im Fürstbistum Passau, Passau 2009, 23–92.
Federhofer 2001
Hellmut Federhofer, „Benedict Anton Aufschnaiter als Musiktheoretiker“, in: Die Musikforschung 54 (2001), 227-242.
Jaksch 1977
H. I. F. Biber, Requiem à 15: Untersuchungen zu höfischen, liturgischen und musikalischen Topik einer barocken Totenmesse, München und Salzburg 1977
Lechl 1999
Peter Lechl, „Aufschnaiter, Auffschneitter, Benedict Anton“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart 2, Personenteil Band 1, Kassel etc. 1999, Sp. 1163–1164.
Lehrndorfer 1930
Franz Lehrndorfer, „Benedict Anton Aufschnaiter, Domkapellmeister in Passau“, in: Ostbaierische Grenzmarken, 19. Jahrgang (1930), Heft 11, S. 241–246 und 274–279.
Riedel 1963
Friedrich Wilhelm Riedel, „Der ‚Reichsstil‘ in der deutschen Musikgeschichte des 18. Jahrhunderts“, in: Bericht über den Internationalen Musikwissenschaftlichen Kongress Kassel 1962, Kassel 1963, S. 34–36.
Schmitz 1999
Heinz-Walter Schmitz, Passauer Musikgeschichte. Die Kirchenmusik zur Zeit der Fürstbischöfe und in den Klöstern St. Nikola, Vornbach und Fürstenzell, Passau 1999.
Schmitz 2008
Heinz-Walter Schmitz, „Georg Muffat – Missa in Labore Requies. Überlegungen zu ihrer Aufführungsmöglichkeit im 17. Jahrhundert“, in: Georg Muffat. Ein reichsfürstlicher Kapellmeister zwischen den Zeiten, herausgegeben von Heinz-Walter Schmitz, 2. Auflage, Passau 2008, S. 171–199.
Diskographie
CD Benedict Anton Aufschnaiter, Serenades. Cpo, 1997. Interpreten: L’Orfeo Barockorchester, Leitung: Michi Gaigg. Enthält: Concors discordia, Opus 2, 6 Orchestersuiten.
CD Benedikt Anton Aufschnaiter (1665-1742) – Dulcis fidium harmonia op. 4 (1703), Innsbruck: Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, 1997. Interpreten: Affetti musicali, Leitung: Ernst Kubitschek.
Doppel-CD Barock & Klassik: Benedikt Anton Aufschnaiter (1665-1742) – Orchestersuiten und Kirchensonate / Johann Zach (1699-1773): 3 Stamser Sinfonien (Klingende Kostbarkeiten aus Tirol, 4), Innsbruck: Institut für Tiroler Musikforschung, 1998. Interpreten: Concerto armonico Budapst, Leitung: Bernhard Sieberer. Enthält (CD 1): Concerto o Parthia della Cortesia, Sonata Gloriosa, Sonata della Pace.
CD Tiroler Tage für Kirchenmusik 1998: Pfarrkirche Kitzbühel, Innsbruck: Institut für Tiroler Musikforschung, 1999. Interpreten: Soli, Collegium vocale Innsbruck, Aura Musicale Budapest, Leitung: Bernhard Sieberer. Enthält: Requiem in C-Dur. Messe Nr. 3 aus Opus 6, 2 Offertorien aus Opus 7.
Doppel-CD Benedikt Anton Aufschnaiter (1665-1742) – Sakralwerke (Klingende Kostbarkeiten aus Tirol, 38), Innsbruck: Institut für Tiroler Musikforschung, 2005. Interpreten: Neue Innsbrucker Hofkapelle, Leitung: Detlef Bratschke. Enthält: 2 Messen aus Opus 6, 2 Offertorien aus Opus 7.
CD Benedikt Anton Aufschnaiter: Dulcis fidium harmonia opus 4 MDCCIII, Arcana, 2009. Interpreten: Ars Antiqua Austria, Leitung: Gunar Letzbor.
[1] Siehe Diskographie am Ende dieses Beitrages.
[3] Zur Biographie Aufschnaiters siehe vor allem Schmitz 1999, S. 230–283, weiters Lechl 1999 und Eberhardt 2009.
[4] In einer Eingabe an den Hofkammerrat am 19. April 1724 schreibt Benedikt Anton Aufschnaiter, er habe „auch schon 7 Musicalische opera in Druckh heraus gegeben, deren, das erste Ihro Exzellenz H. General v. Trautmannstorff Commendanten der Vöstung Gräz Seligster gedächtnus […] underthenigist dedicirt habe“; zitiert nach Schmitz 1999, S. 247–248, Auslassungen in eckiger Klammer vom Verfasser. Von diesem Opus 1 konnte bisher kein Exemplar nachgewiesen werden.
[5] Eingabe an den Hofkammerrat vom 19. April 1724 (wie vorhergehende Anmerkung), zitiert nach Schmitz 1999, S. 247, Auslassungen in eckiger Klammer vom Verfasser.
[6] Maria Barbara trennte sich 1706 in Passau von ihrem Mann – dem Passauer Fürstbischof legte sie in einem Schreiben 28 Punkte dar, warum sie mit Benedikt Anton Aufschnaiter nicht mehr zusammenleben könne – und ging nach Innsbruck zu ihren Eltern. Über Jahre suchte sie Unterhaltszahlungen und das Sorgerecht für ihren Sohn Joseph Franz Anton zu bekommen und schaltete dazu auch den Brixner Bischof ein – vergeblich. Die Trennung blieb aufrecht und Aufschnaiters Eheprobleme waren ein fortwährendes Skandalon. Siehe dazu Schmitz 1999, S. 232–234.
[7] Die Rüge des Fürstbischofs ist der Anlass für die bereits mehrfach zitierte Eingabe vom 19. April 1724 zu verstehen: Aufschnaiter verweist darin auf seine vielfältigen Leistungen auf dem Gebiet der Musik und rechtfertigt sich damit vor seinem Dienstherrn.
[8] Eine Faksimile-Ausgabe der Regulae Compositionis Fundamentalis Musurgiae erschien 2011 im Stuttgarter Cornetto-Verlag (mit einem Kommentar von Markus Eberhardt). Siehe auch Federhofer 2001.
[9] Siehe Markus Eberhardt, Kapitel 2 „Die Tonartenkonzeption Aufschnaiters“ im Kommentar zur Faksimile-Ausgabe der Regulae Compositionis Fundamentalis Musurgiae, Stuttgart 2011, o. p.
[10] Muffat spricht selbst von „in Passau zu vornehmeren Gästen ansehnlicher Empfahlung / auch hoch-adelicher Ballett-Übung componiretn Stücken“, siehe Schmitz 1999, S. 53, Anmerkung 231.
[11] Benedikt Anton Aufschnaiter schreibt in einer Eingabe an den Hofkammerrat am 19. April 1724, sein Vorgänger Muffat habe „die vill jahren alhir, sintemahlen nit mehr als 3 Messen, 1 Offertorium und 2 ave Regina hinterlassen“; zitiert nach Schmitz 1999, S. 247. Siehe auch Schmitz 2008.
[12] Aus einer Eingabe Georg Muffats an das Passauer Domkapitel vom 26.1.1691, hier zitiert nach Schmitz 1999, S. 151. Die Eingabe ist zwar nur fragmentarisch überliefert, weil sie 1961 bei einem Brand Schaden nahm, sie wird aber bereits bei Lehrndorfer 1930 zitiert und kann auf Basis von dessen Transkription rekonstruiert werden (siehe Lehrndorfer 1930, S. 276 und Schmitz 1999, S. 246).
[13] Siehe Schmitz 1999, S. 299.
[14] Ein von Martina Raab erstelltes Werkverzeichnis findet sich in Schmitz 1999, S. 267–283.
[15] „In seinen geistlichen Werken vertritt er den modifizierten römischen Kantatenstil“ (Lechl 1999, Sp. 1164).
[17] Für direse und die folgenden Ausführungen siehe Siehe Markus Eberhardt, Kapitel 3 „Die Stillehre Aufschnaiters“ im Kommentar zur Faksimile-Ausgabe der Regulae Compositionis Fundamentalis Musurgiae, Stuttgart 2011, o. p.
[19] Siehe Graduale „Benedixisti Domine“, RISM A/II 600077073, Abschrift zwischen 1810 und 1860 zu datieren.
[20] Schmitz 1999, S. 230.