Von Oberschulrat Hans Wirtenberger
Anderl Molterer und Karl Schranz (im Hintergrund) beim Streckenstudium am Ganslernhang 1959.
Wegen einiger ungewöhnlicher Ereignisse besitzt das Hahnenkammrennen 1959 eine Ausnahmestellung, die einen Blick zurück rechtfertigt.
Schon im Frühjahr 1958 beschloss der Ausschuss des Kitzbüheler Ski Clubs unter Präsident Kurt Beranek, das für 17. und 18. Jänner 1959 festgesetzte internationale Hahnenkammrennen wegen der 20. Auflage als Jubiläumsrennen durchzuführen.
Das Hahnenkammrennen, 1931 begründet, wurde zuerst unregelmäßig ausgetragen und entfiel in der Kriegszeit völlig. Viel später durchgeführte Nachforschungen ergaben, dass 1959 eigentlich erst das 18. Rennen gewesen wäre.
Anlässlich des (irrtümlich angenommenen) Jubiläums sollte Franz Reisch, dem ersten Skifahrer (1892) und Begründer der Wintersportvereinigung (1902) bzw. des Wintersportvereins (1905) ein würdiges Denkmal am neu gebauten Rathaus gesetzt werden. Das vom akademischen Bildhauer Franz Roilo (Innsbruck) entworfene Relief wurde bei Graßmayr in Innsbruck gegossen. Die Enthüllung erfolgte am Abend nach dem Abfahrtslauf des Hahnenkammrennens in Anwesenheit der Nationalmannschaften und der lokalen Prominenz sowie des letzten noch lebenden Gründungsmitglieds Alois Abendstein. Bürgermeister Dr. Camillo von Buschman würdigte das Werk von Franz Reisch.
Im Herbst 1958 begannen die Vorbereitungen für das Rennen. Nachdem die Ausschreibung der Presse zugekommen war, fragte der ORF wegen einer Übertragung im Fernsehen an. Das ergab neue organisatorische Herausforderungen.
Keine Überraschung brachte die Wetterlage. „Es begann bereits gegen Weihnachten zu gehen, und schon wieder gab es diese Schneebettelei, die uns schon einige Jahre verfolgt. In letzter Minute kam so viel Schnee, dass das Rennen gesichert erschien", erinnerte sich der geschäftsführende Obmann Leopold Pischl im Jahresbericht, den er im Mai 1959 verfasste.
Die unermüdlichen Streckenchefs begannen 14 Tage vor dem Rennen damit, die Strecke in rennfähigen Zustand zu versetzen. Probleme gab es wegen der Beistellung des Bundesheeres. Trotz aller möglichen Interventionen und Petitionen schien es beinahe unmöglich, die notwendige Hilfe zu erhalten.
Die Pisten waren rechtzeitig in Ordnung, es konnte ausgiebig trainiert werden. Bei Nennungsschluss stand fest, dass das Hahnenkammrennen 1959 bestens beschickt wird. Nicht mehr dabei waren aber Josl Rieder, der ohne Training war und wegen der Kombinationsregel auch auf den Torlauf verzichtete, und Toni Sailer, der wegen der ungeklärten „Amateurfrage" – er war Mitbesitzer einer Textilfirma geworden und stand als Filmschauspieler zeitgleich für „Zwölf Mädchen und ein Mann" in Wien vor der Kamera – 1958/59 auf die Teilnahme an Rennen verzichtet hatte.
Die Kneissl-Fahrer Karl Schranz, Anderl Molterer und Ernst Hinterseer hatten die Absicht, die viel diskutierten „Düsenskier" bei der Abfahrt zu verwenden, aber Sportwart Friedl Pfeifer reagierte prompt und untersagte „den ganzen Zauber".
Die Abfahrtsläufe brachten schwere Niederlagen für die Heimischen. Zuerst siegte bei den Damen die Norwegerin Astrid Sandvik (wie 1956), die besten österreichischen Fahrerinnen waren Helga Hanel (St. Johann i.T.) und Kathi Hörl (Saalfelden), beide auf dem 15. Rang.
Der Herrenabfahrtslauf endete mit dem Sieg des Amerikaners Bud Werner, Schranz wurde Dritter und Anderl Molterer landete auf Rang 7, Ernst Hinterseer (11.), Kurt Pair (18.), Herwig Schiechtl (40.),Rainer Kolb (67.) und Hias Leitner (71.) – der in den Wald hinuntergekugelt war, aber weiterfuhr, wie das damals noch gehalten wurde – waren die weiteren Kitzbüheler.
Auch der Torlauf endete für die Österreicherinnen enttäuschend. Die Salzburgerin Grete Haslauer auf dem 13. Platz war die Beste. Die Schweizerin Annemarie Waser siegte vor Astrid Sandvik, in der Kombinationswertung lag die Norwegerin vor der Schweizerin. Grete Haslauer auf Rang 15 war die erfolgreichste Österreicherin.
Besser lief es am Sonntag für die österreichischen Herren. Anderl Molterer fuhr „die besten Läufe seines Lebens" (Urteil in „Austria Ski Sport"), nach seiner Devise „Siegen oder stürzen" erschien sein Sieg als „ein Triumph der Nervenkraft" (Arbeiterzeitung), „noch nie fuhr Molterer so grandios" schrieb der aus Kitzbühel stammende Lehrer und Journalist Robert Nicklas (Tiroler Nachrichten). Kurt Bernegger (Salzburger Nachrichten) bezeichnete Molterer als den „erfolgreichsten Trophäenjäger aller Zeiten und den erfolgreichsten A-Kaderläufer nach dem Krieg", der „kaum zu schlagen" sei. Aber schon zwei Tage nach dem grandiosen Sieg schrieben die SN zur Halbzeit der alpinen Skisaison, dass eine „überragende Persönlichkeit" fehlt.
In der inoffiziellen Weltrangliste der französischen Sportzeitung L’ Equipe wurde Molterer aber 1959 wie schon 1953, 1955 und 1956 Sieger, dreimal war er Dritter in dieser wichtigsten Wertung vor der Gründung des Weltcups.
Mit etwas Abstand verfasste Toni Ducia, Pressechef des ÖSV, seine Analyse in der Verbandszeitschrift über Molterers Wellenberge der großen Erfolge, die nie mit den Terminen der Weltmeisterschaften und der olympischen Kämpfe zusammenfielen. Es sei bei ihm so wie bei den Schönwetterhäuschen: „Ist der Molterer heraußen, dann sind die großen Titelkämpfe sicher drinnen. So kommt es denn, dass dieser Superskifahrer, dieser tollkühne Abfahrtsläufer, dieser Artist zwischen den Flaggen, einer der Besten, die es je gegeben hat, noch nie Weltmeister oder Olympiasieger geworden ist. Heuer ist er natürlich in Hochform, denn es ist ja ein Zwischenwinter.
Wer den Anderl Molterer in einigen seiner rasanten Slaloms gesehen hat, der versteht auch, warum er nicht immer gewinnen kann. Wenn man so knapp an der Grenze des physikalisch Möglichen fährt, dann hat man entweder eine Bestzeit oder eine totale Niederlage. Uns ist er so recht, wie er ist, auch wenn er oft nicht durchkommt. Ein rassiges Rennpferd ist eben kein Haflinger, es hat halt seine Mucken und ist etwas nervös. Aber es ist die Nervosität, die vom Temperament kommt. Wie langweilig wär’s doch manchmal ohne Anderl Molterer, den Unberechenbaren." (Austria Ski Sport, Februar 1959)
Das Ergebnis im Slalom:
1. Molterer, 2. Egon Zimmermann I, 3. Pepi Stiegler,
4. Ernst Falch (alle Österreich).
Die Kombination sicherte sich Molterer vor Zimmermann und Jean Vuarnet (Frankreich). Die Abfahrtsbesten Werner, Staub und Schranz waren im Torlauf ausgeschieden. Ernst Hinterseer hatte nur einen ausgezeichneten zweiten Lauf (disqualifiziert), Hias Leitner landete auf Rang 9, Kurt Pair war 16. im Torlauf und 14. in der Kombination.
Für Molterer war es der vierte Gesamtsieg und leider – abgesehen vom Abfahrts- und Kombinationssieg eine Woche später in Megeve – der letzte durchschlagende Erfolg seiner Amateurkarriere, die er nach den verpatzten Olympischen Spielen in Squaw Valley (1960) beendete.
Anderl Molterer, der seit 1960 in den USA lebt, bleibt der erfolgreichste Kitzbüheler Teilnehmer beim Hahnenkammrennen. Sein Kombinationssieg 1959 ist der bisher letzte einheimische Gesamterfolg.
Der letzte Kitzbüheler Einzelsieger ist Hansi Hinterseer (Slalom 1974).